Stell dir vor, du lebst im Paradies
und keiner merkt’s!
Nicole, wie würdest Du Deinen Weg zur Künstlerin beschreiben?
Ich habe schon als Kind viel gemalt. Zum Glück hat mich mein Papa dabei unterstützt. Wenn ich etwas brauchte, zum Beispiel Farben, dann war es am nächsten Tag da. Wenn mich damals jemand fragte, was ich werden wollte, antwortete ich immer: »Künstlerin!« Ich habe mir sogar Mamas Servierwagen geklaut, um damit Bilder im Ort zu verkaufen.
Nach dem Berufsgrundschuljahr entschied ich mich für eine Buchbinderlehre, die ich als Beste in Rheinlandpfalz abschloss. Nach dem Fachabitur konnte ich mir mit der Buchbinderei das Studium finanzieren. Während des Studiums konzentrierte ich mich besonders auf Kalligrafie, Typografie und Buchgestaltung. Danach war ich dann Profi für Schriften, aber die Kunst hatte ich aus den Augen verloren.
Ich arbeitete als Grafikerin und entwarf zum Beispiel Weinetiketten, engagierte mich in Ehrenämtern und bekam ein Kind, was schwierig ist, wenn man selbstständig ist. Irgendwann stieß ich dann an meine Grenzen – ich hatte es übertrieben. Nach einer Brustkrebsdiagnose beschloss ich, wieder mit dem Zeichnen anzufangen, denn etwas fehlte mir.
Man ist die meiste Zeit des Lebens damit beschäftigt, das Selbstvertrauen zu entwickeln der Mensch zu sein, der man ist. Das fordert Mut.
Der Weg zur freien künstlerischen Arbeit war für mich eine Entwicklung. Statt auf den einen richtigen Zeitpunkt zu warten, begriff ich: Ich lebe jetzt! Diese Erkenntnis war der Auslöser, weswegen ich mich wieder der Kunst zuwandte.
Was inspiriert Dich zu Deinen Illustrationen?
Ich hatte ein Schlüsselerlebnis als mein Sohn noch klein war. Er saß draußen auf einer Decke und strahlte als wäre Weihnachten. Aber er beobachtete bloß eine Biene! Die Biene saß in einer Blume und sammelte Pollen. Er war so fasziniert, dass ich dachte: ›Das ist es: Du musst nur genau hinschauen!‹
Das Wunder des Lebens findet um uns herum statt und keiner guckt mehr hin.
Wenn man etwas zeichnet, sieht man, wie vielfältig es ist. Dann fällt einem erst auf, in welchem Wunder wir leben – das ist der Wahnsinn. Deswegen finde ich Inspiration auch in alltäglichen Dingen, wie Gemüse und Obst aus der Region und sogar in Küchen- oder Gartengeräten. Vielfalt steckt in allem.
Wie verbindest Du Deine Arbeit als Grafikerin mit diesem künstlerischen Anspruch?
Als Grafikerin ist man dem Urteil der Kunden ausgesetzt und es ist fast immer ein Kompromiss. Was ich für meine Arbeit festgelegt habe: Kunden können mir gerne sagen, was sie haben möchten, aber im Endeffekt ist es, was es ist. Seit ich so arbeite, erfüllt mich das richtig. So geht auch die Individualität nicht verloren.
Wer bei meinen Bildern genau hinschaut, sieht vielleicht die Kartoffeln lachen …
Warum beschriftest Du Deine Bilder und Etiketten auf Rheinhessisch?
Das Rheinhessische stirbt aus, es wird immer weniger gesprochen. Mein Sohn ist zweisprachig aufgewachsen – Rheinhessisch und Hochdeutsch – aber er spricht nur Hochdeutsch. Nur wenn er sich aufregt, dann kann er Rheinhessisch. Genauso Fastnacht. Das ist für viele bloß ein Trinkfest und nur noch wenige verstehen die Gags.
Vor zwei Jahren habe ich mit der »Rhoihesse«-Karte begonnen. Hier konnte ich mein Wissen, meine handwerklichen Fähigkeiten und meinen Regionalpatriotismus vereinen. Denn die Orte sind im örtlichen Dialekt beschriftet. Die Karte kommt gut an – das freut mich riesig. Auf Märkten zeigen mir Leute oft auf der Karte, wo sie herkommen. Sie sind dann ganz begeistert, wenn sie den rheinhessischen Begriff für ihren Ort finden. Für viele hat das mit Identifikation zu tun.
Nicole, Du nennst Dich »Die Selztalerin«. Woher kommt Dein Regionalpatriotismus?
Ich bin in einem Dorf mit rund 450 Einwohnern aufgewachsen. Da kennt jeder jeden und man hat automatisch dieses Gemeinschaftsgefühl. Dadurch hilft man einander, ganz ohne Aufforderung. Dieses selbstverständliche Gemeinschaftsgefühl gibt es in ganz Rheinhessen.
Doch das Besondere an ihrem Umfeld bemerken viele Einheimische nicht. Es fehlt ihnen – wie mir damals – das Aha-Erlebnis. Letztens hat mir eine Touristin erzählt, dass sie bei uns in Rheinhessen zum ersten Mal Trauben am Stock gesehen hat. Sie kannte das gar nicht! Trotzdem erkennen die Leute, die hier leben, oft nicht, was sie haben. Ich will ihnen die Augen öffnen!
Wie verrückt ist das? Stell dir vor, du lebst im Paradies und keiner merkt’s!
Besucht »Die Selztalerin« auf ihrem Altelierhof und stöbert in ihren Schätzen. Das Sortiment reicht von selbst gekochter Marmelade über köstlichen Tomaten-Gelees und kraftvollen Kräutertees bis zu handgebundenen Notizbüchern im Rhoihessen-Look – Feines zum Schenken oder Behalten! Nicole Schmuck-Kersting freut sich auf Euch.
Atelierhof SelztalerRheinhessenShop:
Oppenheimer Straße 7, 55278 Selzen (Info Anfahrt)
Mittwoch 16 – 19 Uhr
Donnerstag & Freitag 10 – 14 und 16 – 19 Uhr
Samstag 10 – 14 Uhr
Ich erzähle gern aus dem Nähkästchen über mich, meine Aktivitäten, über Vergangenes und Zukünftiges, gebe Tipps zu DIY, Kochen, Garten, Handwerklichem, Regionalem oder erzähle von anderen Kreativen und was ich sonst noch interessant finde.
Das Interview führten Lea und Michelle, Praktikantinnen 2019 im pmv. Beide studieren u.a. Buchwissenschaft in Mainz. Lea konnte im Praktikum ihre Kreativität einsetzen, Michelle entdeckte ihre digitalen Talente. Lea: »Das Interview mit Nicole war super! Der Laden ist wirklich wunderschön.«
Weitere Geschenkideen und Grußkarten findet ihr im pmv-Shop. Schaut doch mal vorbei!